Rudolfs Tod geht als Mayerling-Tragödie in die österreichische Geschichte ein. Gerade der Umstand, dass der Kronprinz die Tat nicht allein, sondern gemeinsam mit Baronesse Vetsera begangen hat, regt seit damals die Gemüter und Phantasien vieler an: Ist die Tragödie Ausdruck einer unglücklichen Liebe zwischen dem verheirateten Thronfolger und seiner Geliebten, die ihm auf Gedeih und Verderbergeben ist? – Oder das Drama zweier junger Menschen als Folge einer Liebe, die nicht sein darf? Andere sehen in Rudolf einen liberalen Intellektuellen, der die politischen Ansichten seines Vaters nicht teilt und sich ihm unverhohlen widersetzt: Rudolf als junger Rebell, der sich ein vereintes Europa wünscht und die Vorrechte des Adels beschränken will; denn die letzte Begegnung mit seinem Vater endete im Streit – wobei bis heute nicht bekannt ist, worum es im Zwist

zwischen Vater und Sohn ging. War Rudolf für den Wiener Hof ein gefährlicher Unruhestifter, der alles auf den Kopf stellen wollte, sollte er erst an der Macht sein? Oder ist der Freitod bloß Schlussakt schwerer Depressionen, die den jungen Kronprinzen seit jeher plagten? Rudolfs pessimistische Weltsicht ist aus vielen Tagebucheinträgen bekannt – dazu kommt ein desolater Gesundheitszustand in seinen letzten Lebensmonaten, physisch wie auch psychisch.

Die Perspektiven sind also vielseitig und nicht immer eindeutig, entsprechend der Komplexität der Charaktere und Lebensumstände, in deren Zusammenhang ein solches Geschehen immer gesehen werden muss.